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Stippvisite in Frankfurt: sprachlos in schlimmster Hinsicht und doch voll gut

11. Mai 2011

Donnerstagabend packte ich meinen Rucksack und ich versuchte die Ryanair-Vorgaben zu berücksichtigen, was mir nicht gelang und am Ende war es auch scheißegal mit dem Handgepäckmaßen. Auf! auf! nach Frankfurt.

Dort gab es ein riiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiesengroßes Aufeinandertreffen alter Freunde und neuer mit Sonnenbrillen und Sonnenbrand geschmückte Gesichter und ein Wochenende voller Konzentration im Zustand zusammengebrautem Schlafmangels innerhalb einer delikaten Auswahl herrlichster Workshops zum Thema „Freiwilliges Engagement in der globalen Zivilgesellschaft“. Mein kleiner Verein lud alle zum Bildungskanon ein und da meine Einsatzstelle hier in Schweden im Grunde genommen der selbe Verein ist, ließ ich mir das natürlich nicht nehmen. Also standen Tobias und ich Freitagmorgen um fünf auf um schlaftrunken den Weg nach Stockholm-Skavsta (es ist nicht Stockholm, irgendwo eher Nyköping: 10 Strände, 2.800 Inseln – so pries ein Plakat die Gegend an) zu meistern, es war ein Wandeln am Rand des Morgens…das hieß erstmal Kaffee besorgen, Bus finden und anderthalb Stunden weiterschlafen. Ryanairflughäfen sind besonders schön weit weg, da kann besonders lange dösen.

Angekommen gleich eingecheckt. Ich hatte etwas Bammel, weil mein Rucksack doppelt so breit war wie erlaubt, aber eyy…ganz ehrlich, man hätte auch ein Kamel mit ins Flugzeug tragen können, da hätte keiner was gesagt und der Typ an der Ausweiskontrolle war auch noch am schlafen und zog ein Gesicht, als wäre er Türsteher beim Kindergeburtstag und Tobias zeigte seinen gelöcherten, weil abgelaufenen Ausweis vor, der mal gar nichts mit der Ausweisnummer auf dem Ticket zu tun hatte und es war allen egal. Kein Stress am Morgen, bloß nicht den Schlafsand aus den Augen verlieren. Und dann im Flugzeug den Fensterplatz ergattert und von oben die Rapsfelder gesehen, die sahen aus wie krumme Schachfelder und von oben die Wälder gesehen, die sahen aus wie Teppiche und von oben die Metropolen der Welt gesehen: Göteburg, Kopenhagen, Lübeck, Hamburg (boah, das war ein Anblick, da gingen mir die Emotionen durch und ich hätte alle umarmen können. Meine andere Heimat. Das schöne Hamburg und die Elbbrücken so niedlich zerbrechlich und die Außenalster nicht größer als ein Streichholzköpfchen), Hannover und Mainz.

Und dann irgendwann in Frankfurt-Hahn gelandet und es ist eine Frechheit, dass sich der Flughafen Frankfurt nennt. Aber es gab Döner. Das erste Mal seit drei Monaten wieder einen richtigen Döner, der so groß war, dass ich nicht wusste, wie ich ihn essen sollte.

Im Bus 2 Stunden weiter geschlafen – dann Frankfurt. Eine Stadt, die mir nicht gefällt. Die Dichte teurer Autos ist erschreckend. Jede Hochhausetage hat mindestens zwei von solchen Karren und die Stadt ist zu glatt. Zu glatte Fassaden, zu glatter Asphalt, zu viele Fenster, zu glatte Anzüge – die Menschen waren alle angezogen wie Pinguine. Schwarzes Jacket, weißes Hemd, schwarze Hose und eine Krawatte in der Farbe aller Bankenlogos. Aber günstiges Bier am Kiosk, der in Frankfurt Trinkhalle heißt. Sowieso war der Anblick der Alkoholregale an jeder Ecke etwas befremdlich und doch heimatlich, weil ich es von Hamburg kannte, nach Feierabend schnell noch zum Kiosk, weil ich Freunde in der Stadt zu treffen pflegte, im Sommer ganz oft und in Stockholm Trinkhallen niemals finden werde. Und wir gingen nicht gleich ins Hotel, sondern saßen im Park, denn in Frankfurt sind die Bäume schon erwachsen und das Blattwerk prächtig entwickelt, während in Mittelsüdschweden die Baumkronen noch in der Pubertät stecken und man nicht weiß, ob sie groß und dicht oder klein und mickrig bleiben. Und ich freute mich, alte Bekannte wieder zu sehen und gute Freunde und nur von netten Menschen umgeben zu sein.

Und über zwei Tage dann jene Menschen getroffen, die nicht wussten, dass ich auf Stippvisite in Frankfurt bin und lange haben wir geredet und abends beim Bier bis zur Unkenntlichkeit meiner Stimme alte Geschichten von früher erzählt und dann war meine Stimme weg – ich wurde das Opfer einer Erkältung, die nicht in meiner Nase wohnt, sondern in meinem Hals… meine Stimme verschwunden im Dickicht wilder Gedanken und Erlebnisse, die ich erzählen wollte und ich konnte es nicht. Und am nächsten Tag saß ich im Workshop und wollte diskutieren und konnte es nicht. Es kam nur noch Flüstern und Krächzen aus meinem Hals. Und das war frustrierend. Zum Schweigen verdonnert. Das ist, als würde man einem Langläufer die Beine abhacken. Manchmal konnte ich zwei Sätze sagen, die gruselig klangen. Dann war die Stimme wieder weg, die Stimmbänder verrottet. Die Konversation im Hals erstickt. Das ging den ganzen Samstag so. Auch abends auf der Vereinsparty, wo so viele Leute waren, mit denen man mal was erzählen wollte – ich konnte alles vergessen, was ich zu sagen hatte. Das Bier wurde mit Zeichensprache am Tresen besorgt – dafür braucht man zum Glück keine Worte. Das versteht jeder, der in mein verzweifeltes Gesicht blickte und mich fragte, was ich denn habe, warum ich nicht rede, wie ich mich anstrengte – ich war geschunden für den Rest des Abends. Die Situation war beschissen und ich erinnerte mich an das tocotronische Wehklagen: „…und ich muss reden auch wenn ich schweigen muss…“

Am Sonntag war meine Stimme im Begriff, langsam aber sicher das Totenreich zu verlassen. Ich saß ja auch in einem Workshop über Motivation und wusste in dem Moment, was ich zu tun hatte. Ein Grundpfeiler des Motivierens ist Belohnung. Und ich wollte mich selbst belohnen, in dem ich die Stimme meiner Mama höre, die sich über meinen unerwarteten Anruf zum Muttertag bestimmt freuen wird. Und am frühen Nachmittag war es dann soweit. Ihr Telefon klingelte und sie war etwas perplex…

Und den ganzen Tag über rief ich Freunde und Bekannte an, weil ich meine deutsche Sim-Karte in mein Handy steckte und auf einmal war es so schön günstig, nach Hamburg zu telefonieren. Herrlichst. Und Sonntagabend den Weg nach Frankfurt-Hahn. Im Sonnenuntergangslicht schlief der Flughafen schon und Tobias und ich bauten unser Nachtlager unter einem Apfelbaum am Flughafenrandgebiet auf, tranken noch ein paar Bier und laberten über die epochalen Errungenschaften unseres Lebens, weil wir beschlossen haben, am Airport zu übernachten, weil wir um fünf Uhr morgens einchecken mussten. Ich rief ein paar Freunde an, sagte Hallo, wie geht’s? Sagte, dass ich sie manchmal vermisse und manchmal vermissen sie mich, haben sie geantwortet. Die Nacht war nicht die bequemste und ich schlief nicht viel, eigentlich kaum, es war zwar bequemer als Flughafenmarmorfußboden, aber etwas kalt und alle fünf Minuten donnerte ein LKW vorbei. Dafür war es dunkel. Der Schlaf war nicht tief und entspannt fand ich es nicht. Aber ich wollte nicht ins Terminal, da war es unentspannt hell und bestimmt auch laut, weil Putzmaschinen summen und Tobias lag schlummernd in seinem Schlafsack und ich wollte ihn nicht allein lassen, mit all unseren wichtigen Sachen, die wir hatten.

Der Rückflug und die gesamte Rückreise am Montagmorgen war dann auch ein zeitfressendes Delirium. Völlig übermüdet und verschlafen und im Flugzeug etwas gepennt und immer wieder aufgewacht, weil die Sonne durchs Fenster schrie und ein Dünnschiss aus Licht mich mitten im Gesicht traf und die Sonne ist so unfreundlich hell über den Wolken und im gleißend weißen Sonnenmeer sah ich die Insel des schwedischen Küstenarchipels, die wie dunkle Flecken auf einem Meer aus weißer Glut schwammen – so hell schien die Sonne und dann in Schweden wieder anderthalb Stunden Busfahren bis Stockholm und auf der Fahrt dorthin geschlafen, soweit es ging – fünf Minuten später wieder aufgewacht und wieder geschlafen und wieder aufgewacht und irgendwann waren wir am zentralen Busbahnhof und ich hatte vor lauter Müdigkeit das Gefühl für Zeit und Raum verloren und ich wollte nur noch ins Bett. Nichts sagen, nichts denken, nur noch ins Bett und schlafen und von all den Menschen träumen, denen ich so vieles erzählen wollte und nicht konnte, weil auf meinem Stimmbändern ein Batzen Erkältungsschleim Urlaub machte.

Aber es war gut, das Wochenende. Es war ein bisschen wie nach Hause kommen, es war ein normales Vereinswochenende unter Freunden, mit wilder Party am Samstagabend, einem leicht verkaterten Morgen am Sonntag und guter Stimmung zu jeder Stunde. Mit großem Hallo und großem Und Tschüss. Und dem Versprechen, dass wir uns bald wiedersehen.

In Gedanken blieb die Rede von Sherifa Fayez, der Geschäftsführerin von AFS Ägypten, die in bewegenden Worten und Bildern von der Revoultion in Ägqpten berichtete, die persönlich dem Engagement Tausender dankte, die im Hintergrund der Demonstrationen in freiwilliger Aufopferung zusammen hielten, als die Polizei aus dem Land spurlos verschwand, die im Dickicht undurchdringlicher Machtverhältnisse nicht aufhörten, an einem Wechsel zu glauben, die das Engagement all jener verteidigte, die für Demokratie und Rechte im Schatten der Millionen Demonstranten halfen, dass die Phase der Unwissenheit über das wie-geht’s-jetzt-weiter nicht in Chaos versank. All das waren wichtige Worte und wichtige Sätze, die eindrucksvoll zeigten, wie weit freiwilliges Engagement in der Zivilgesellschaft reichen kann.

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