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Skåne – vom schwedischen Süden

24. Mai 2011

Nachdem ich eine Woche lang nur Klezmer und Punk gehört habe, um meine Regeneration nach dem Eurovision Songcontest zu beschleunigen, begab ich mich anschließend zur Vollendung der Genesung auf Richtung Süden – Betriebsausflug mit kleiner Bürodelegation.

unsere Reiseroute ganz grob

Donnerstag

Die Reise ging nicht mehr weiter, als sie noch gar nicht richtig angefangen hat. Zwischen Nyköping und Norköping brach das Gleis entzwei – das hieß in den Bus umsteigen, der erstmal nicht kam und hunderte Leute standen mit einmal vor dem Bahnhof in der Sonne und der Kiosk nebenan freute sich über dieses Glück des Kundschaftsknäuels, denn jeder kaufte ein Kaffee, Schoki oder Eis, denn die Sonne schien pralle vom Himmel. Keiner war voller Ungeduld, es war fast wie ein großes Klassentreffen diverser Generationen. Alle warteten, dass etwas passiert und als nichts geschah, regte niemand sich auf.

Der Ersatzbus, der dann irgendwann vor uns bremste, war der bequemste seiner Art, in dem ich jemals saß. Ich schlummerte in seinem wohl temperierten Inneren ein.

In Norrköping dann das gleiche Spiel. Hunderte Leute standen auf dem Bahngleis. Der Zug stand da, seine Türen waren verschlossen und keiner murrte herum.

Die Schweden sind die Ruhe in Person, der Punkt, den man erreichen muss, damit sie sich aufregen, liegt kilometerweit irgendwo in ihrem Inneren ihres gemütlichen Gemüts versteckt. Nach einer Dreiviertelstunde kam ein Zug, den wir nehmen konnten, und mit uns quängelten sich gefühlte 500 andere Reisende hinein. Mit zweieinhalb Stunden Verspätung setzten wir unsere Reise fort. Die Schaffner waren freundlich gelaunt, ließen uns im Speisewagen auf dem Boden sitzen und uns aus dem Snackregal bedienen und organisierten Taxen für alle Reisenden, deren Anschlusszüge schon längst am Endbahnhof am Abstellgleis schliefen.

Sobald der Zug um eine Stunde Verspätung hat, kann man sich in Schweden übrigens den vollen Fahrpreis als Gutschein wieder auszahlen lassen. Man bezahlt dann praktisch nichts für die Reise, was echt super ist, wenn man weite Strecken zurücklegt.

Um elf abends in Lund. Wir stiegen aus, die Abendluft angenehm mild und fuhren dann noch eine halbe Stunde weiter nach Helsingborg und wurden von Egfried abgeholt, der es nicht lassen konnte, uns die nächtliche Stadt zu zeigen. Rathaus, Konzerthaus, Fährhaus – es sah aus wie in Südfrankreich. Erhaben, stolz, für Schweden untypisch (für den Süden vielleicht normal) aber hübsch in seiner architektonischen Freude und Detailversessenheit.

Freitag

Schulbesuche standen an. Das hieß um halb sechs morgens aufstehen, eine gefühlte Stunde Bus raus aufs Land fahren und nette Schulleiter treffen, Feedback besorgen, nette Worte wechseln, über Kooperationen reden, was lief gut, was lief schlecht. Fragen eben, die man stellen muss, damit sie uns ihre Türen offen halten. Das ganze an drei Schulen und bei allen dreien lief es unterschiedlich ab, aber wir sind immer mit einem positiven Gefühl über den Schulparkplatz zur Bushaltestelle gelaufen. Mal war das Gespräch schnell zu Ende, mal dauerte es lang – mal rief der Rektor seine Kollegen ins Zimmer, so dass wir plötzlich vor fünf Leuten sprachen, was super-cool war, denn alle waren interessiert und stellten auch ein paar kritische Fragen und wir konnten diskutieren – mal hatte unser Kontaktlehrer keine Zeit und so liefen wir mittags durch die Helsingborger Vorstadt, durch eine Art Plattenviertel, dessen Rasen spießig akkurat gemäht und mit Blumeninselchen geschmückt war, ganz streng nach Reißbrettschema und hinter dieser Art von Wohnkomplex muss eine sozialistische Idee von Klassengleichheit stecken, denn wer dort wohnt, dem ist ein Vorteil durch schöneres Wohnen verwehrt, der wohnt wie alle anderen in seinem Kasten mit Balkon und geht im einzigen Supermarkt für alle im Zentrum dieser abgeschotteten Wohnbatterie einkaufen – ein bisschen pittoresk war das alles und ich fühlte meine Kindheit in mir, wie ich früher in meinem Plattenviertel in den Konsum ging und von den wenigen dort feilgebotenen Produkten das für mich sinnvollste aus dem Regalen angelte. Zwar war die Auswahl in der schwedischen Kaufhalle bei weitem größer als früher in der DDR, aber ich hatte das Gefühl, dass es seit 20 Jahren die gleichen Produkte an immer gleicher Stelle gibt. Auf einer Wiese vor einem fünfstöckigen Vielfamilienhaus machten wir Pause und dösten in der Sonne herum. Wir Fremde in einer Gegend, wo jeder jeden bestimmt schon tausend Mal über den Weg gelaufen ist.

14 Uhr dann Feierabend, was superschön war, denn Marcel und ich verzogen uns an den Strand. Er ging joggen, ich ging spazieren und muggelte mich an einer Düne in meine Jacke ein und schaute aufs Meer, wie seine Wellen ans Land plätscherten, wie sich über Dänemark, dessen Küste man sah, Regen ergoss, wie fette Frachter Richtung Norden verschwanden. Der Wind war frisch, aber schön. Der Strand war einsam und wirkte fast vergessen. Ab und zu zogen alte Menschen ihren Hund hinter sich her. Die Imbussbude verrammelt, hier und da ein Betonhaufen, wo früher Flakgeschütze Flugzeuge vom Himmel holten und heute stumme Zeugen eines Krieges sind, der nicht lang vorbei schien, denn Beton hält durch und verschwindet nicht so schnell.

Am Abend dann AFS-Kollegen in Malmö besucht. Wir suchten eine Bar für ein paar Bier und alles war voll und nach einer Viertelstunde Laufen fanden wir einen netten Platz und Malmö gefiel mir sehr. Eine Innenstadt wie Eimsbüttel, schicker Altbau und viele Bars und kleine Geschäfte und nettes Treiben in den Straßen und ab und zu moderne skandinavische Architektur, die das Stadtbild in einer Weise zerbrechen lässt, dass das Alte erhalten und das neue etwas provozierend in den Mittelpunkt rückt. Es ist ein spannender Kontrast und das Bier ist so teuer wie in Stockholm, aber die Leute sind nicht so poshy wie in der Hauptstadt und wirkten für mich modisch normaler und nicht so abgehoben. In Stockholm ist Haut Couture manchmal wie fremdes Essen. Man schaut zwar hin, aber ob man es selber haben möchte, ist eine Frage, die ich mir des öfteren Stelle.

Samstag…

…war ein schöner Tag. Samstag schien den ganzen Tag die Sonne und 13 Austauschschüler fuhren mit ihren Gastfamilien und ein paar Mitarbeitern aus dem Verein mit der Fähre auf die Insel Ven, denn zwischen Schweden und Dänemark liegt ein kleines Eiland voller Flieder, netten kleinen Häusern und engen Wegen, die wir mit dem Fahrrad erkundeten. Und wie schön diese Insel ist! Wie unglaublich aufregend ich es fand, mit dem Boot hinzutuckern.

Ich hatte natürlich wieder dieses kindliche Piratengefühl, das ich bekommen, wenn ich Inseln betrete, denn hinter jeder Ecke könnte ja ein verborgener Schatz liegen und selbst wenn es kein Gold gab, so fand ich Ecken voller schönster Aussicht auf das azurblaue Meer mit dutzenden Segelbötchen und Schwäne schwammen gemütlich hin und her und Enten zogen flach übers Land und platschten wie Wasserflugzeuge aufs Wasser und wie der Flieder duftete. Ein einziges Parfüm, diese Insel! Das ist die wahre Côte d’Azur und am Horizont flimmert die Silhouette Kopenhagens!

Und kleine Kieswege folgend kamen wir an einer kleiner Bäckerei vorbei, die die leckersten Kanelbuller backten, die die Welt je gekostet hat. Schon von weitem führte uns der Duft von Backgewürz in die richtige Richtung und wer keine Lust auf Zimt-und-Zucker-Gebäck hatte, dem sei eine warme Kürbissuppe im Kürbisrestaurant empfohlen, draußen an kleinen Tischen, die vor Handwerkskunst nur so platzen. Ja…Ven, das ist eine kleine, friedliche Welt mit Leuchttürmen an steilen Küsten und kleinen Yachthäfen an jeder Seite, mit einem weißen Sandstrand am Ostufer und wilden Wiesen und blühenden Rapsfeldern im Zentrum der Insel und Sonnenbrand im Gesicht. Wie herrlich!

Sonntag…

…war der Himmel grau. Schwer drückte schwüle Luft. Es war ein guter Tag um Skaane Richtung Westen zu verlassen und einen letzten Abstecher nach Dänemark machen. Wir machten Zwischenstopp in Humlebæk, einem kleinen, verschlafenden Städtchen nördlich von Kopenhagen und besuchten das Museum für moderne Kunst und wer jemals nach Kopenhagen reisen sollte, dem sei die 40 Minuten Zugfahrt nach Humlebæk wärmstens empfohlen. Die Ausstellung ist nicht nur interessant, das ganze Museum ist spannend. Architektonisch wunderbar verwinkelt mit wilden Verästelungen die Neugier anregend und sich fragend, was sich wohl hinter jener Wand und in diesem und jenen Raum verbirgt, landet man plötzlich vor Gemälden von Picasso. Unerwartet beeindruckend. Imposant und ehrfürchtig. Und während ich neugierig den kubistischen Schädel eines Ochsen studierte, fegte durch die Gänge der tiefe Hall eines Sommergewitterdonners und ermahnte uns Besuchern der Aufruhr der Stationen in Picassos Biographie: Provokateur und Exilant. Kommunist und Friedensbotschafter war er – die Friedenstaube entstammt seinen Bildern.

Und wenn der Kopf voll Bilder platzt und man die Eindrücke und zu viel Moderne vergessen möchte, sollte man das Museum Richtung Garten verlassen, denn hinter alten, dicken Bäumen und mit wilden Farnen begrünten Wiesen liegt die Ostsee. Auf die kann man schauen, wenn man von Kunst die Schnauze voll hat. Das Meer ist das einzige Bild, dass keinen Rahmen braucht. Das malt sich selbst jeden Tag neu.

Montag

Auf! auf! nach Frederiksberg, einem hippen Vorort Kopenhagens. Da liegt das AFS Büro von Dänemark und dort waren wir verabredet, um ein paar Stunden über Programmarbeit, Zusammenarbeit, Ehrenamtlichenorganisation und Management zu reden und die Kollegen waren so nett und es war so schön, mal wieder dänisch zu hören und versuchen zu verstehen, was mir nicht gelang, denn die Aussprache ist wie betrunken Deutsch rückwärts – aber niedlich. Ja…und dann zurück nach Stockholm. Von Kopenhagen nicht viel gesehen, außer das Innere eines Taxis und das Innere des Hauptbahnhofs und das Innere der Stadt aus dem Fenster von Linienbussen. Spannend auf jeden Fall, auch nur vom so Durchfahren. Das Büro bat uns, mal wieder vorbei zu schauen. Und ich glaube, dass ich das auch machen werde. Bei der Rückfahrt nächstes Jahr. Oder im Herbst, wenn der Regen fällt – mal schauen.

Tja – und dann die Rückfahrt um halb fünf nachmittags von Kopenhagen und um kurz vor elf war ich in Stockholm. Und mir fiel auf, wie grün Schweden geworden ist. Eine Farbe, die an allen Ecken und Enden blendet. Ich erinnere mich, als ich in Februar mit dem Zug durch diese Gegen gefahren bin und wie grau alles war und wie braun die Wiesen und wie trist und unglaublich lebensfern das alles, was draußen am Fenster vorbei zog, wirkte. Und jetzt: BÄÄÄMMM! Grün explodiert. Die Natur hat voll eingeschlagen.

Und heute, Dienstag, ich total übermüdet. Grauer Himmel in Stockholm, etwas Regen – aber Disko zur Mittagspause. Lunchbeat wieder. Stockholm, mit seinen verrückten Untergrundtraditionen und seinem Aktionszwang. 250 Leute auf dem Dach des Kulturhauses tanzten zu Elektro und es gab vegetarische Sandwiches und Wasser und Schweiß. Aber nicht drüber nachdenken, einfach tanzen und das Leben seine Maschen machen lassen! Denn es ist ein Netz, das die guten Dinge einfängt.

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